Rehabilitation

Wie Lehrkräfte spät implantierte Kinder im Unterricht unterstützen können

Kinder, die ihr Cochlea-Implantat spät erhalten haben, müssen beim Schuleintritt häufig einen sprachlichen Rückstand gegenüber Gleichaltrigen aufholen. Lesen Sie, mit welchen besonderen Herausforderungen spät implantierte Kinder konfrontiert sind und wie Sie sie im Klassenzimmer unterstützen können.

Spät implantierte Kinder benötigen zusätzliche Unterstützung im Schulunterricht

In welchem Alter ein Kind sein Cochlea-Implantat erhält, wird durch ganz unterschiedliche Faktoren beeinflusst – etwa durch medizinische, persönliche, familiäre und geografische. Idealerweise erfolgt die Diagnose möglichst kurz nach der Geburt bzw. nach Eintreten des Hörverlusts. Leider ist das nicht immer der Fall.

Wir wissen, dass eine möglichst frühe Diagnose, gefolgt von einer raschen Versorgung mit der modernsten Technologie, zu den besten Hörergebnissen führt. Aber auch jene Kinder, bei denen die Therapie nicht derart geradlinig abläuft und zwischen Auftreten des Hörverlusts und der Implantation eine gewisse Zeit verstreicht, profitieren signifikant von ihren Cochlea-Implantaten. Sharma, S. D., Cushing, S. L., Papsin, B. C., & Gordon, K. A. (2020). Hearing and speech benefits of cochlear implantation in children: A review of the literature. International Journal of Pediatric Otorhinolaryngology, 133, 109984. https://doi.org/10.1016/j.ijporl.2020.109984[1]

Spät versorgte Kinder haben gegenüber Gleichaltrigen ohne Hörverlust häufig einen Aufholbedarf in ihrer Sprachentwicklung, der spätestens bei Schuleintritt evident werden kann. Die sprachliche Lücke kann sich beispielsweise so auswirken, dass ein sechsjähriges Kind in der ersten Schulklasse sprachlich noch auf dem Stand eines dreijährigen Kindes ist. Geers, A. E., Nicholas, J., Tobey, E., & Davidson, L. (2016). Persistent Language Delay Versus Late Language Emergence in Children With Early Cochlear Implantation. Journal of Speech, Language, and Hearing Research, 59(1), 155–170. https://doi.org/10.1044/2015_jslhr-h-14-0173[2]

Herausforderungen für spät implantierte Kinder

Der sprachliche Aufholbedarf wirkt sich in mehrfacher Weise aus:

  1. Wörter und Wortbedeutungen müssen erst gelernt werden

Im Regelfall verfügen Kinder bei Schuleintritt über einen gewissen Wortschatz und ein gut entwickeltes Repertoire an kommunikativen Ausdrucksmöglichkeiten. Das Erlernen neuer Konzepte und Inhalte fußt auf diesen sprachlichen Kenntnissen und Fähigkeiten.

Bei Kindern mit einem sprachlichen Rückstand fehlt ein Teil dieser Basis – anstelle eines strukturierten, kontinuierlichen Prozesses sind sie mit mehreren Ebenen des Spracherlernens gleichzeitig konfrontiert.

Ein Beispiel: Die Lehrperson liest aus einem Buch über das Leben von Eisbären vor und erklärt unter anderem, dass Eisbären sich auf ihren Tatzen über Schollen bewegen, Raubtiere sind und keinen Winterschlaf halten.

Kinder, die einige der vorgelesenen Ausdrücke (etwa „Tatze“, „Raubtier“ oder „Winterschlaf“) bereits kennen, sind nun imstande, diese auf den Kontext der Arktis zu übertragen. Sie verknüpfen Bedeutungen miteinander und binden so die bekannten Wörter in neue Zusammenhänge ein. Kinder, welche die vorgelesenen Ausdrücke noch nicht kennen, müssen sich die Wortbedeutungen erst aneignen – und zwar gleichzeitig, während Sie jede Menge neuer Inhalte über Eisbären lernen.

  1. Limitierungen im Erkennen und Äußern bestimmter Laute

Kindern lernen das Lesen leichter, wenn sie auf ein möglichst breites Repertoire an sprachlichen Lauten zurückgreifen können. Normalerweise sind Kinder im Alter von sechs Jahren in der Lage, alle einzelnen Laute, aus denen sich die Wörter ihrer Muttersprache zusammensetzen, zu formen, also zu äußern.

Kinder mit Hörverlust, deren Therapie spät einsetzte, können möglicherweise nicht alle Einzellaute korrekt produzieren. Dieser Umstand erschwert das Lesenlernen. Zu verstehen, wie ein „k“ klingt, ist ungleich schwieriger, wenn das Kind diesen Konsonanten nicht aussprechen kann.

Auch hier, beim Lesenlernen, macht das synchrone Nebeneinander von eigentlich sukzessiven Lernschritten (Laute – Silben – Wörter – Wortfolgen – Sätze) die Aufgabe für spät implantierte Kinder nicht gerade einfach.

  1. Eingeschränktes phonemisches und phonologisches Bewusstsein

Phonemisches und phonologisches Bewusstsein umfasst das Vermögen, Klang in Wörtern oder Sätzen zu erkennen, zu verstehen und aktiv zu nutzen – beispielsweise beim Reimen.

Kinder mit normaler Hör- und Sprachentwicklung sind spät mit CI versorgten Kindern in Bezug auf diese Fähigkeit häufig deutlich voraus. Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Phonemen zu erfassen, ist entscheidend für den Erwerb der Lesekompetenz.

  1. Weniger Erfahrung mit sozialen Beziehungen

Spät implantierte Kinder hatten üblicherweise weniger Zeit, soziale Interaktion zu üben und – vereinfacht ausgedrückt – Freundschaften zu schließen.

Hinzu kommt, dass die Diskrepanz in der Sprach- und Kommunikationskompetenz ein gewisses Misstrauen fördert und die soziale Interaktion hemmt. Kinder haben das Gefühl, ausgeschlossen zu werden, und den Eindruck, andere Kinder machen sich über sie lustig, wenn sie deren Unterhaltungen nicht folgen können.

Außerdem eignen sich Kinder mit Hörverlust die „Theory of Mind“, also das Vermögen, die Auswirkungen mentaler Zustände auf eigene und fremde Handlungen zu verstehen, meist später an. Diese Kompetenz gilt als eine der Grundvoraussetzungen für das Knüpfen und Pflegen von Freundschaften.

Kind mit Cochlea-Implantat im Klassenzimmer

Konkrete Strategien und Tipps zur Unterstützung

Im Folgenden finden Sie wirksame Wege, spät versorgten Kindern mit Hörverlust manchen Stein aus dem Weg zu räumen:

  • Von großer Bedeutung ist zweifellos die Technologie, die dem Kind zum Hören zur Verfügung steht. Dazu gehören insbesondere modernste Cochlea-Implantat-Audioprozessoren, etwa der SONNET 3 oder der RONDO 3.
  • Im Klassenzimmer können externe Hörhilfen (Assistive Listening Devices, ALDs) wie AudioLink XT das Hören bei Hintergrundlärm erleichtern.
  • Die Lernumgebung sollte so gestaltet sein, dass sie das Verstehen von Sprache und die Konzentrationsfähigkeit der Kinder unterstützt. Einige so einfache wie nützliche Tipps dazu finden Sie in den unten verlinkten Materialien.
  • Wo verfügbar, können zusätzliche Lehrpersonen und Stützkräfte zum Einsatz kommen. Für Kinder mit sprachlichem Aufholbedarf kann es hilfreich sein, bestimmte Aufgaben in Eins-zu-eins-Betreuung zu erledigen.
  • Vorbereitung und Nachbereitung: Stehen die personellen und zeitlichen Ressourcen zur Verfügung, können neue Inhalte und Wörter bei Bedarf zusätzlich außerhalb der Unterrichtsstunden erarbeitet werden. Das kann sowohl vorab (als vorbereitender Unterricht) als auch im Nachhinein (als Wiederholung und Festigung des im Klassenverband Erlernten) erfolgen.

Kinder, die ein Cochlea-Implantat erhalten, stehen vor besonderen Herausforderungen. Durch den Zugang zur besten Hörtechnologie, zusätzliche Unterstützung im Klassenzimmer und gezielte Unterrichtsstrategien können wir diesen Kindern helfen, sich gut im Schulalltag zurechtzufinden.

Materialien und Downloads für Lehrpersonen

Die folgenden deutschsprachigen Artikel und Downloads wurden von MED-EL gestaltet und stehen Lehrkräften und anderen Betreuungspersonen von Kindern mit Hörverlust kostenlos zur Verfügung.

Artikel:

PDF-Downloads:

Ein herzliches Danke geht an Donna Sperandio, Gehörlosenlehrerin und Senior Rehabilitation Specialist bei MED-EL, für das Verfassen des englischsprachigen Originalartikels, der diesem Beitrag zugrunde liegt.

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References

  • [1]

    Sharma, S. D., Cushing, S. L., Papsin, B. C., & Gordon, K. A. (2020). Hearing and speech benefits of cochlear implantation in children: A review of the literature. International Journal of Pediatric Otorhinolaryngology, 133, 109984. https://doi.org/10.1016/j.ijporl.2020.109984

  • [2]

    Geers, A. E., Nicholas, J., Tobey, E., & Davidson, L. (2016). Persistent Language Delay Versus Late Language Emergence in Children With Early Cochlear Implantation. Journal of Speech, Language, and Hearing Research, 59(1), 155–170. https://doi.org/10.1044/2015_jslhr-h-14-0173

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