Optimale Unterstützung für spät implantierte Kinder
Spät implantierte Kinder benötigen ausreichend Geduld und einen schrittweisen Ansatz in der Hörrehabilitation, um das Maximum aus ihren Cochlea-Implantaten herauszuholen und bestmöglich zu hören. Dieser Artikel befasst sich mit den Auswirkungen einer späten Diagnose von Hörverlust bei Kindern und liefert konkrete Reha-Empfehlungen.
Eine möglichst frühe Versorgung von Babys und Kindern mit schwerem bis völligem Hörverlust ist der Goldstandard – speziell dann, wenn Eltern sich eine ideale Sprechentwicklung für ihr Kind wünschen.
Diagnose, Evaluierung, Voruntersuchungen und Eingriff sollten innerhalb von sechs Monaten erfolgen. So geben etwa die „US Centers for Disease Control“ eine 1-3-6-Richtlinie vor: Diagnose möglichst rasch nach der Geburt (bis zum Ende von Monat 1), Evaluierung bis zum Ende von Monat 3 und Intervention bzw. Implantation bis zum Ende von Monat 6. [1]
Das Alter zum Zeitpunkt der Implantation ist ein entscheidender Faktor für den Nutzen des Cochlea-Implantats [2] und die spätere Kommunikationsfähigkeit implantierter Kinder. Es gibt eindeutige Evidenz dafür, dass jene Kinder, die eine frühe Diagnose, eine entsprechende Versorgung auf Basis moderner CI-Technologie und eine gute postoperative Therapie und Unterstützung mit Fokus auf Sprechentwicklung erhielten, die besten Resultate zeigen. [3]
„Ein frühes Eingreifen ist entscheidend, um die negativen Effekte von Hörverlust auf die sprachliche und kognitive Entwicklung zu minimieren.“
Trotz klarer Evidenz und Expertenempfehlungen wird eine beträchtliche Zahl an Kindern noch immer unnötig spät mit Hörimplantaten versorgt – insbesondere dann, wenn Entwicklungsverzögerungen, zusätzliche medizinische Probleme oder auch Störungen der Mittelohrfunktion vorliegen. [4]
Die Prävalenz spät einsetzenden Hörverlusts aufgrund angeborener CMV-Infektion oder genetischer Störungen veranlasst Expert*innen und die WHO nicht zuletzt dazu, sich – zusätzlich zu den Neugeborenen-Hörscreenings – für Hörtests von Kindern vor dem Schuleintritt auszusprechen. [6] [7]
Folgen einer späten Therapie des Hörverlusts
Studien zeigen, dass die späte Diagnose und Versorgung gehörloser Kinder eine ganze Reihe an negativen Effekten nach sich ziehen:
- Verzögerte Sprech- und Sprachentwicklung im Vergleich zu früher mit Hörimplantaten versorgten Kindern [8]
- Verzögerte soziale Entwicklung und schlechtere schulische Leistungen [9]
- Eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit und mitunter auffälliges Verhalten [10]
- Weitreichende Degeneration im zentralen auditorischen System nach längerer auditorischer Deprivation bei unbehandelter hochgradiger Schallempfindungsschwerhörigkeit [3] [11] [12]
Besonderheiten von spät mit CI versorgten Kindern
Allein für den Reha-Prozess nach der CI-Versorgung kann eine späte Implantation aber auch Vorteile bringen. Das liegt daran, dass später implantierte Kinder im Rehabilitationsprogramm aufgrund ihres Altersvorsprungs auf ein breiteres Spektrum an Fähigkeiten und sozialen Erfahrungen zurückgreifen können als jüngere und früher implantierte Kinder.
Anders als Babys haben sie zum Beispiel bereits Geburtstagsfeiern oder Ausflüge aktiv miterlebt. Ihre nichtverbalen kognitiven Fähigkeiten sind daher im Normalfall stärker ausgeprägt als jene von früher mit CIs versorgten Kindern.
Hinzu kommt, dass ältere Kinder über bessere physische und motorische Voraussetzungen verfügen, womit sich eine vielfältigere Palette an spielerischen Übungen eröffnet – sie können im Rahmen der Hör- und Sprechrehabilitation malen, zeichnen, Gegenstände aus Papier ausschneiden oder sogar bereits einzelne Buchstaben erkennen und aufschreiben.
Schritt für Schritt Unterstützung für spät implantierte Kinder
Spät implantierte Kinder durchlaufen dieselben Schritte der auditorischen Entwicklung wie früh implantierte Kinder, benötigen aber unter Umständen etwas mehr Zeit.
Schritt eins: Beurteilen
Schätzen Sie das Hör- und Sprachvermögen des Kindes ein – wo steht es im Entwicklungsprozess? Hilfreich ist außerdem, die nonverbale Kommunikation, also das Vorhandensein oder Fehlen von geteilter Aufmerksamkeit, Gestik, Augenkontakt etc., zu beurteilen.
Schritt zwei: Zuhören
Definieren Sie passende Ziele. Beginnen Sie mit dem Wahrnehmen von Geräuschen und setzen Sie darauf aufbauend weitere Ziele wie das Unterscheiden, Identifizieren und Verstehen des Gehörten. Je später Kinder ihre Implantate erhalten haben, desto mehr Zeit sollte insbesondere dem Beginn – also der Wahrnehmung der “neuen” Klänge – gewidmet werden.
Steigern Sie die Komplexität der Äußerungen von anfangs spielerischen Ausdrücken wie „hui“, „piep piep“, „tschu-tschu“ etc. bis hin zu kurzen Phrasen des täglichen Gebrauchs, etwa „guten Morgen“, „ab ins Bett“ oder „das schmeckt gut“.
Schritt drei: Sprechen
Auch hier geht es darum, angemessene Ziele zu definieren. Da diese Kinder nicht mehr ganz klein sind, empfiehlt es sich, gleichzeitig am Zuhören und am Sprechen zu arbeiten. Nach dem Prinzip des “Rollentauschs” können alle Höraktivitäten mit dem aktiven Sprechen kombiniert werden: Lassen Sie immer wieder das Kind übernehmen und geben Sie ihm Zeit, den gewünschten Laut oder die passende Phrase selbst zu finden und zu äußern.
Wichtig ist, dass die Äußerungen für das Kind bedeutsam und in irgendeiner Weise nützlich sind. Der eigene Name, die Namen von Familienmitgliedern oder Haustieren sowie Bezeichnungen für Spielzeuge, Lebensmittel und Speisen eignen sich zu Beginn am besten.
Geben Sie Wörter vor, die sich in vielen Situationen verwenden lassen und die dem Kind helfen, etwas zu tun, zu bekommen oder zu lösen. Vermitteln Sie dem Kind Ausdrücke wie “noch etwas”, “genug”, bitte“, „nein“, „ich“ oder „mein“. Kann das Kind diese Wörter korrekt anwenden, führen Sie neue, komplexere Ausdrücke, Wortkombinationen und schließlich vollständige Sätze ein.
Intensive Hörerfahrung ist wichtig für spät mit CI versorgte Kinder
Mangelnde Hörerfahrung bei Kindern, die spät implantiert wurden, bedeutet, dass das für die Anpassung zuständige Team bestimmte Faktoren speziell berücksichtigen sollte. Zum einen kann das Kind von den neuen Klangeindrücken überwältigt sein.
Zum anderen ist entscheidend, dass das Kind mit seinem Prozessor gut zurechtkommt und ihn tagsüber so viele Stunden wie möglich trägt. Im Idealfall erhält das Kind in den ersten drei Monaten nach der Implantation Zugang zum gesamten Klangspektrum, welches das Implantat-System bieten kann.
Kinder profitieren auch dann, wenn sie spät ein Cochlea-Implantat erhalten
Obwohl das Alter zum Zeitpunkt der Implantation ein wichtiger Faktor für das Hörergebnis mit dem CI ist, können auch Kinder, die ihr Cochlea-Implantat spät erhalten, eine deutlich verbesserte Lebensqualität erfahren. Ein intensiver, schrittweiser Rehabilitationsansatz, der sowohl das Hören als auch die gesprochene Sprache zum Ziel hat, führt zu einem optimalen Erfolg für jedes einzelne Kind.
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Ein herzliches Dankeschön geht an Reha-Expertin und Gehörlosenpädagogin Donna Sperandio für das Verfassen des englischen Originalartikels, der dieser deutschsprachigen Fassung zugrunde liegt.
Referenzen
- US Centers for Disease Control and Prevention. (2024, May 15). EHDI 1-3-6 Benchmarks. https://www.cdc.gov/hearing-loss-children/articles/baby-hearing-screening-infographic.html
- Sharma, S. D., Cushing, S. L., Papsin, B. C., & Gordon, K. A. (2020). Hearing and speech benefits of cochlear implantation in children: A review of the literature. International Journal of Pediatric Otorhinolaryngology, 133, 109984. https://doi.org/10.1016/j.ijporl.2020.109984
- Ching, T. Y. C., Dillon, H., Leigh, G., & Cupples, L. (2018). Learning from the Longitudinal Outcomes of Children with Hearing Impairment (LOCHI) study: summary of 5-year findings and implications. International Journal of Audiology, 57, S105–S111. https://doi.org/10.1080/14992027.2017.1385865
- Fitzpatrick, E. M., Santos, J. C. dos, Grandpierre, V., & Whittingham, J. (2017). Exploring reasons for late identification of children with early-onset hearing loss. International Journal of Pediatric Otorhinolaryngology, 100, 160–167. https://doi.org/10.1016/j.ijporl.2017.06.039
- Lieu, J. E. C., Kenna, M., Anne, S., & Davidson, L. (2020). Hearing Loss in Children. JAMA, 324(21), 2195–2205. https://doi.org/10.1001/jama.2020.17647
- Mackey, A. R., Persson, A., & Uhlén, I. (2024). Pre-school hearing screening is necessary to detect childhood hearing loss after the newborn period: a study exploring risk factors, additional disabilities, and referral pathways. International Journal of Audiology, ahead-of-print(ahead-of-print), 1–9. https://doi.org/10.1080/14992027.2024.2368571
- World Health Organization. (2021, March 3). World Report on Hearing. https://www.who.int/publications/i/item/9789240020481
- Geers, A. E., Nicholas, J., Tobey, E., & Davidson, L. (2016). Persistent Language Delay Versus Late Language Emergence in Children With Early Cochlear Implantation. Journal of Speech, Language, and Hearing Research, 59(1), 155–170. https://doi.org/10.1044/2015_jslhr-h-14-0173
- Choo, O.-S., Kim, H., Kim, Y.-J., Roh, J., Jang, J. H., Park, H. Y., & Choung, Y.-H. (2021). Effect of Age at Cochlear Implantation in Educational Placement and Peer Relationships. Ear and Hearing, 42(4), 1054–1061. https://doi.org/10.1097/aud.0000000000001000
- Hentges, R. F., Devereux, C., Graham, S. A., & Madigan, S. (2021). Child Language Difficulties and Internalizing and Externalizing Symptoms: A Meta‐Analysis. Child Development, 92(4), e691–e715. https://doi.org/10.1111/cdev.13540
- Sharma, A., Gilley, P. M., Dorman, M. F., & Baldwin, R. (2007). Deprivation-induced cortical reorganization in children with cochlear implants. International Journal of Audiology, 46(9), 494–499. https://doi.org/10.1080/14992020701524836
- Sharma, A., & Mitchell, T. (2013). Deafness. Springer Handbook of Auditory Research, 189–215. https://doi.org/10.1007/2506_2013_7
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