Audiologie

Mehr als Sprache: Wie MED-EL Cochlea-Implantate Musik verarbeiten

Musik kognitiv zu verarbeiten, ist äußerst komplex. Die ausgefeilte Technologie von MED-EL ermöglicht Menschen mit Cochlea-Implantaten, Musik nicht nur zu hören, sondern sie sogar zu genießen.

Musik

Gesprochene Sprache zu verstehen, sie gewissermaßen zu entschlüsseln, ist ein aufwändiger Prozess. Dennoch ist es mit Cochlea-Implantaten bereits seit mehreren Jahrzehnten möglich, dass Menschen mit schwerem bis hochgradigem Hörverlust Laute, Wörter und Sätze verstehen. Moderne CI-Systeme leisten aber noch mehr: Sie bieten nicht nur Zugang zu Sprache, sondern auch zu wesentlich vielschichtigeren Klanggebilden – konkret: zu Musik.

Grundlage für die Verarbeitung derart komplexer Klänge ist eine ausgefeilte Implantat- und Audioprozessor-Technologie. MED-EL verfügt über die Technologie, die – bei allen individuellen Faktoren wie Dauer oder Ursache des Hörverlusts – die Freude am Musikhören unterstützt.

Frequenz und Lautstärke

Musik hat im Allgemeinen einen breiteren Frequenzbereich als Sprache. Eine Tuba klingt tiefer als die tiefste Männerstimme und mit den höchsten Tönen der Piccoloflöte kann auch die virtuoseste Sopranistin nicht mithalten. Sprache bedient im Wesentlichen die Spanne zwischen 125 und 8.000 Hz.

Um den kompletten Umfang wahrnehmbarer Tonhöhen möglichst unverzerrt und natürlich hören zu können, muss der Elektrodenträger des Cochlea-Implantats bis zur Spitze der Cochlea reichen. MED-EL bietet das größte Portfolio an Elektrodenträgern. Das ist deshalb so wichtig, weil alle Cochleae unterschiedlich sind. Voraussetzung für eine angenehme, farbenreiche Musikwahrnehmung ist, dass der Elektrodenträger möglichst den gesamten Ductus cochlearis abdeckt und somit elektrisch stimulieren kann.[1] MED-EL Audioprozessoren erfassen Frequenzen zwischen 70 und 8.500 Hz.

Wie die Frequenzspanne ist auch der Lautstärkenbereich von Musik deutlich umfassender als jener von Sprache. Nehmen wir zum Beispiel ein Orchesterkonzert: Wenn hundert Musizierende gleichzeitig im Forte spielen, kann das eine ungeheure Lautstärke erzeugen. Zugleich lebt insbesondere klassische Musik von dynamischer Spannung, also von sanften oder abrupten Laustärkenveränderungen. Wenn zum Beispiel laute, ekstatische Passagen der Blechbläser in zarte, gefühlvolle Solostellen einer Harfe übergehen, führt das nicht nur zu akustischen, sondern auch zu emotionalen Kontrasten.

Um all dies zu berücksichtigen und ein so ausgewogenes wie differenziertes Klangerlebnis zu liefern, bedarf es ausgeklügelter Front-End-Signalverarbeitung und Hörprogrammen, die einen breiten Dynamikbereich mit optimaler Kompression übermitteln. Lautstärkehinweise müssen ausreichend vorhanden sein, sodass Menschen mit CI die dynamische Komplexität der Musik ohne starke Verzerrungen der Modulationstiefe wahrnehmen können.[2]

Frequenzen und Lautstärken gesprochener Sprache werden mithilfe der „Sprachbanane“ im untenstehenden Audiogramm dargestellt. Die eingezeichnete Blase markiert den für die Musikwahrnehmung erforderlichen Frequenz- und Lautstärkenbereich. Aus dieser Visualisierung geht klar hervor, dass ein Hörsystem, das den Bereich der Sprache abdeckt, nicht zwangsläufig eine umfassende Musikwahrnehmung ermöglicht.

Frequenzen von Musik und Sprache

Audiogram of volume and frequency ranges for speech perception and music perception

Based on Fellbaum, K. (1984). Sprachverarbeitung und Sprachübertragung. Berlin: Springer Verlag.

Sprache in Stille oder Lärm vs. verdichteter Klangteppich

Sprache in unterschiedlichen Hörsituationen klar und deutlich zu verstehen, ist entscheidend für die tägliche Kommunikation. Fortschrittliche Klangverarbeitung passt sich an unterschiedliche Geräuschumgebungen an, minimiert störenden Hintergrundlärm und fokussiert auf Sprache. Um Sprache in Stille technologisch hörbar zu machen, können bereits vier spektrale Kanäle ausreichen.

Musik ist dagegen wesentlich komplexer aufgebaut, sie besteht aus etlichen Klangschichten, die zu einem „Klangteppich“ verflochten sind. Fehlen Strukturen dieses Teppichs, verliert die Musik an Klangfarben und Fülle. Manche Instrumente eines Orchesters sind dann unter Umständen nicht mehr hörbar.

Damit möglichst die gesamte Klangfülle vermittelt und stimuliert werden kann, braucht es zahlreiche unabhängige Elektrodenkanäle.[3] MED-EL Cochlea-Implantate verfügen über 12 physische Elektroden, sind aber imstande, bis zu 250 verschiedene Frequenzen gezielt zu stimulieren. Durch diese hohe Zahl an virtuellen Kanälen lässt sich ein Frequenzkontinuum übertragen. So wird der Gesamtklang voller und natürlicher.

Feinstruktur, Einhüllende und Klangfarbenwahrnehmung

Ein wichtiger Aspekt von Klangfarbe ist die klangliche Feinstruktur. Zeitliche Feinstruktur ist als schneller oszillierende Trägerin des Klangs umschlossen von der Einhüllenden, also den langsameren Klanghinweisen.

Die Klangkodierung der meisten Cochlea-Implantate berücksichtigt lediglich die Einhüllende. MED-EL bietet mit FineHearing dagegen eine Kodierungsstrategie, die sich im apikalen Areal der Cochlea synchroner, ratenkodierter Stimulation bedient und so der Feinstruktur des Klanges folgt. Die Kombination aus zeitlich und örtlich (tonotop) abgestimmter Kodierung verbessert die Wahrnehmung der Klangfarbe und liefert MED-EL CI-Nutzer*innen ein natürlicheres Hörempfinden.[4]

Feinstruktur vs. Einhüllende

Graph showing fine structure and envelope of sound

Zusätzlicher Nutzen für das Sprachverstehen

In tonalen Sprachen, wie sie etwa in Asien oder Afrika gesprochen werden, spielt Tonhöhenwahrnehmung eine besonders große Rolle. Durch eine kleine Abweichung der Tonhöhe kann sich die Bedeutung eines Wortes vollkommen verändern. Menschen mit CI haben beim Erlernen einer tonalen Sprache Vorteile durch Technologien wie jene von MED-EL, die Tonhöhen sehr exakt verarbeiten.[5]

Die MED-EL Technologie orientiert sich am normalen Gehör, wodurch Musikgenuss unterstützt und ein möglichst natürliches Hören erzielt wird. Eine Diskrepanz zwischen Tonhöhe und Stimulationsort kann durch auditorische Plastizität nur bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden.[6] Je genauer die stimulierten Elektrodenfrequenzen mit der natürlichen Tonotopizität der Cochlea übereinstimmen, desto rascher und müheloser ist das Gehirn in der Lage, wahrgenommene Frequenzen korrekt zu interpretieren.

Wie gut können Menschen mit CI Musik wahrnehmen?

Trotz aller Fortschritte in der CI-Technologie halten sich nach wie vor hartnäckig falsche Annahmen darüber, wie Hören mit einem Cochlea-Implantat klingt. Im Rahmen einer neuen Studie arbeiteten Menschen mit CI daran, musikalische Fähigkeiten, etwa das Erkennen von Tonabständen und Akkorden, mithilfe der Hörtrainingsapp Meludia zu verbessern. Es zeigte sich, dass zahlreiche MED-EL CI-Nutzer*innen Musik in ihrer Komplexität und Nuanciertheit weit besser wahrnehmen können, als gemeinhin angenommen.

Ältere Studien kamen zu dem Ergebnis, dass Menschen mit CI ein Intervall normalerweise erst ab einem Abstand von drei Halbtönen erkennen (zum Beispiel F vs. Gis).[7] Demgegenüber waren in der erwähnten Meludia-Studie 80 % der MED-EL Nutzer*innen imstande, einzelne Halbtonschritte zu erkennen (zum Beispiel F vs. Fis). Und mit zusätzlichen Musik-Hörübungen könnten diese Fähigkeiten sogar noch weiter ausgebaut werden.[8]

Musik und Lebensqualität

Musik ist mehr als lediglich ein „Bonus“ für Menschen mit Cochlea-Implantaten. Sie weckt Emotionen, verbindet uns mit der Welt um uns und bringt Menschen einander näher. Musik erhöht die Lebensqualität. Und indem wir ganz bewusst an der Musikwahrnehmung feilen, tragen wir insgesamt zu einem natürlicheren Hörempfinden für Menschen mit Hörimplantaten bei.

Referenzen

  1. Landwehr et al. Effects of various electrode configurations on music perception, intonation and speaker gender identification. Cochlear Implants Int. 2014 Jan; 15(1): 27-35.
  2. Gilbert, M., Deroche, M. L. D., Jiradejvong, P., Barrett, K. C., & Limb, C. J. (2021). Cochlear Implant Compression Optimization for Musical Sound Quality in MED-EL Users. Ear And Hearing43(3), 862–873. https://doi.org/10.1097/aud.0000000000001145
  3. Limb, C. J., & Roy, A. T. (2014). Technological, biological, and acoustical constraints to music perception in cochlear implant users. Hearing Research308, 13–26. https://doi.org/10.1016/j.heares.2013.04.009
  4. Müller et al. Clinical trial results with the MED-EL fine structure processing coding strategy in experienced cochlear implant users. ORL J Otorhinolaryngol Relat Spec. 2012; 74(4): 185-98.
  5. Gao, Z., Wang, S., Yang, H. G., Xia, F., Shang, Y., Wang, B., Tian, X., Li, Y., Wei, X., Shu, Z. M., & Chiusso, F. (2022). Cochlear Implantation in Young Mandarin-Speaking Children: One Year After First Fitting. Otology & Neurotology43(6), e645–e650. https://doi.org/10.1097/mao.0000000000003555
  6. Svirsky, M. A., Fitzgerald, M. B., Sagi, E., & Glassman, E. K. (2015). Bilateral cochlear implants with large asymmetries in electrode insertion depth: implications for the study of auditory Acta Oto-laryngologica135(4), 354-363. https://doi.org/10.3109/00016489.2014.1002052
  7. Kang, , Nimmons, G.L., Drennan, W., Longnion, J., Ruffin, C., Nie, K., et al. 2009. Development and validation of the university of Washington clinical assessment of music perception test. Ear & Hearing, 30(4): 411–418. doi:https://doi.org/10.1097/AUD.0b013e3181a61bc0.
  8. Boyer, J., & Stohl, J. (2022). MELUDIA – Online music training for cochlear implant users. Cochlear Implants International23(5), 257–269. https://doi.org/10.1080/14670100.2022.2069313

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