Ein kombinierter Ansatz in der Behandlung angeborener Mikrotie und Atresie: Gastbeitrag von Professor Zhao
Menschen mit angeborener Mikrotie-Atresie (Congenital Microtia-Atresia, CMA) haben Fehlbildungen der Ohrmuschel sowie des äußeren Gehörgangs. Häufig weisen zusätzlich Teile der Mittelohranatomie Malformationen auf. Die überwiegende Mehrheit der Kinder mit CMA sind von Geburt an von moderatem bis schwerwiegendem Schallleitungshörverlust betroffen. Dass dies die Sprach- und Sprechentwicklung sowie die schulische Leistung der Kinder beeinträchtigt, ist bekannt. Eine großartige kombinierte Hörlösung eröffnet diesen Kindern aber die Chance, sehr früh zu hören.
CMA ist eine gängige Indikation für die Versorgung mit einem Knochenleitungsimplantat-System wie z. B. mit der BONEBRIDGE. Dieses aktive Implantat stellt vor allem für Kinder eine ideale Lösung dar, da es sehr zuverlässig ist und die Haut intakt und damit gesund lässt. Die BONEBRIDGE ist für Kinder ab 5 Jahren zugelassen. Das wirft die Frage auf, wie betroffene Kinder vor diesem Alter bestmöglich versorgt und in ihrer Sprachentwicklung unterstützt werden können.
Professor Shouquin Zhao vom Tongren Krankenhaus in Peking verfolgt einen wirkungsvollen Ansatz, der das Tragen eines Knochenleitungshörgeräts vorsieht, ehe das Kind mit einer implantierbaren Lösung versorgt wird. Implantationsfreie Knochenleitungssysteme wie das ADHEAR sitzen hinter dem Ohr auf der Haut, ohne Druck auf diese auszuüben, was lange Tragezeiten und eine hohe Nutzerzufriedenheit bewirkt. Für gewöhnlich erhalten Kinder das System im Alter von drei Monaten. Diese sanfte Unterstützung beim Hören geht später in eine Versorgung mit der BONEBRIDGE über, die als aktives Implantat-System Schallsignale effizient und schonend durch die intakte Haut sendet.
Aktuelle Studien
In einer neuen Publikation präsentieren Prof. Zhao und ihr Team das audiologische und subjektive Outcome von 100 Personen mit CMA, die mit diesem kombinierten Ansatz versorgt wurden.1 Die Studie zeigt, dass die BONEBRIDGE signifikant bessere Resultate als das Knochenleitungshörgerät liefert und alle 100 Personen subjektiv mit der Versorgung zufrieden sind. Die Follow-up-Studie untermauerte, dass es zu keinerlei Komplikationen kam, was die BONEBRIDGE einmal mehr als ideale Lösung speziell für Kinder bestätigt.
Die generell äußerst niedrige Komplikationsrate hängt damit zusammen, dass es sich bei der BONEBRIDGE um ein aktives, transkutanes System handelt. Der Audioprozessor sendet Klangsignale durch die geschlossene, intakte Haut an das Implantat, das die Vibrationen selbst erzeugt und direkt auf den Knochen überträgt. Dieses Funktionsprinzip bietet gegenüber anderen Systemen deutliche Vorteile: Das Signal wird nicht durch die Haut oder anderes Gewebe abgeschwächt, da das aktive Implantat unter der Haut im Knochen sitzt. Zudem bleibt die Haut intakt und gesund. Eine andere kürzlich veröffentlichte Studie kam zu dem Ergebnis, dass das Implantat zwar kurzfristig teurer sei, für medizinische Einrichtungen langfristig aber durchaus ähnliche Kosten bedeute wie der Einsatz passiver knochenverankerter Hörgeräte (z.B. BAHA). Zusätzlich zeige die BONEBRIDGE „niedrigere Komplikationsraten, einen vergleichbaren audiologischen Nutzen und eine vergleichbare Patientenzufriedenheit“. 2 Die Autoren empfehlen in entsprechenden Fällen die BONEBRIDGE als vorrangige Behandlungsoption.
Wenden wir uns nun Professor Zhaos Ausführungen zu. Sie berichtet aus erster Hand über ihre Erfahrungen in der Behandlung von Kindern mit CMA:
Zur Behandlung angeborener Mikrotie und Atresie
Ich begann meine Laufbahn als HNO-Chirurgin am Tongren Krankenhaus in Peking im Jahre 1993. Nach der grundlegenden Ausbildung spezialisierte ich mich auf die Therapie angeborener Mikrotie und Atresie. In den vergangenen Jahren erfolgten in meiner Abteilung ca. 200 solcher Operationen pro Jahr. Seit 2016 habe ich mehr als 140 BONEBRIDGE Implantationen an Personen mit Atresie und anderen Hörschädigungen, die beispielsweise auf SSD oder Cholesteatome zurückgehen, durchgeführt.
Heute ist mein Fachgebiet die Behandlung von Kindern mit CMA. Diese Behandlung erfordert, dass verschiedene Fachbereiche der Klinik, etwa Audiologie, HNO-Chirurgie und plastische Chirurgie, gut ineinandergreifen. Normalerweise wird die Ohrmuschel im Alter von sechs bis acht Jahren unter Verwendung körpereigenen Rippenknorpels oder von Medpor rekonstruiert. Ich arbeite eng mit der plastischen Chirurgie zusammen, damit die Implantation der BONEBRIDGE und die Rekonstruktion der Ohrmuschel zeitgleich erfolgen. Bis die Kinder das Implantat erhalten, sollten sie ca. ab einem Alter von sechs Monaten ein Knochenleitungshörgerät tragen, um eine adäquate Hör- und Sprachentwicklung sicherzustellen. Die Fortschritte werden im Rahmen regelmäßiger Kontrolltermine beobachtet.
ADHEAR und BONEBRIDGE im täglichen Einsatz
Wir verwenden ADHEAR für unsere präoperativen Probephasen, seit das System in China verfügbar ist, da es von den Patienten ob seiner Unauffälligkeit geschätzt wird. Wir haben kürzlich eine klinische Studie zu ADHEAR bei Kindern mit unilateraler Atresie abgeschlossen, die demnächst veröffentlicht werden wird. Die vorläufigen Daten zeigen bessere Resultate in der Spracherkennung sowie bei der subjektiven Bewertung.
Im Vorfeld einer BONEBRIDGE Implantation machen wir eine 3D-Planung mithilfe eines CT-Scans des Felsenbeins. Da wir noch das BCI 601 Implantat verwenden, eruiert mein Team die ideale Position für den BC-FMT mit der BB FastView Software. Diese Methode funktioniert gut, speziell wenn schwerwiegende Fehlbildungen des Felsenbeins wie ein dünner Schädelknochen oder ein prominenter Sinus sigmoideus vorliegen.
Der passende Ansatz
Sowohl der sinodurale Winkel als auch die retrosigmoidale Position des Wandlers werden den Erfordernissen meiner Fälle gerecht. Wenn ausreichend Platz für den BC-FMT im sinoduralen Winkel vorhanden ist, platziere ich ihn bevorzugt dort, um optimales Knochenleitungshören zu erzielen. In mehr als 10 Fällen mussten wir den Wandler aber in retrosigmoidaler Position platzieren, da im sinoduralen Winkel zu wenig Platz zur Verfügung stand. Dabei wurde die Dura weitgehend freigelegt und in einem Bereich von ca. 2-3 mm durch den BC-FMT des BCI 601 Implantats komprimiert. Trotz des Einsatzes von 3 mm Lifts war der Schädelknochen zu dünn, um den Wandler einzubetten.
Bei Atresien, die mit einer Retroposition des Kiefergelenks oder einem prominenten Sinus sigmoideus einhergehen, wäre es mit Risiken behaftet, den Wandler im sinoduralen Winkel zu platzieren. Deshalb entscheiden wir uns in solchen Fällen ebenfalls für die retrosigmoidale Platzierung. Ein weiterer Grund den BC-FMT hinter dem Sinus sigmoideus zu platzieren besteht darin, die Spannung auf den Hautlappen zu verringern, wenn die Implantation zeitgleich mit der Rekonstruktion der Ohrmuschel erfolgt.
Die Mehrzahl meiner BONEBRIDGE Implantationen betraf Personen mit CMA. Nachdem ich die Implantationen nach Möglichkeit mit der Ohrmuschelrekonstruktion verbinde, sind die meisten der Patienten acht bis zwölf Jahre alt. Manche von ihnen haben gravierende Fehlbildungen des Felsenbeins und einen dünnen Schädelknochen. Sobald die neue Generation des BONEBRIDGE Implantats, BCI 602, in China verfügbar ist, werde ich sie auf jeden Fall verwenden, zumal sie mit der geringeren Bohrtiefe vielen meiner Patienten entgegenkommt.
Aktivierung und audiologische Ergebnisse
In der Klinik, an der ich arbeite, erfolgen Aktivierung und Erstanpassung der BONEBRIDGE sieben bis neun Tage nach der Implantation. Zum einen geschieht das deshalb so zeitnahe, weil die BONEBRIDGE keine Osseointegration erfordert. Sobald die Schrauben fest angezogen sind, werden die Vibrationen sehr effizient auf den Knochen übertragen und der Patient kann hören. Zum anderen ist es bei uns üblich, dass die Patienten die Klinik in Peking sieben bis neun Tage nach der Operation verlassen und nach der Entfernung der Bandage in ihre Heimatprovinz zurückkehren. Sie möchten sofort mit dem neuen System hören, sobald sie die Klinik verlassen.
Grundsätzlich habe ich während oder nach den Implantationen kaum Komplikationen mit der BONEBRIDGE erlebt. Und die Ergebnisse sind sehr gut. Die Daten unserer Studie zeigen, dass die audiologischen Resultate 12 und 36 Wochen nach der Aktivierung deutlich besser sind als mit nichtimplantierten Knochenleitungshörgeräten. Wir werden uns auch die langfristigen Daten genau ansehen, um herauszufinden, ob die Resultate über einen längeren Zeitraum stabil bleiben. Sobald wir hier Ergebnisse haben, werden wir diese veröffentlichen.
Mein Tipp an junge Chirurginnen und Chirurgen, die CMA-Operationen durchführen:
- Bei Implantationen des BCI 601 ist es hilfreich, BB FastView zur 3D-Planung zu verwenden, um die ideale Position zur Platzierung des Wandlers zu finden.
- Sprechen Sie Inzision und chirurgischen Ansatz immer mit dem Operateur der plastischen Chirurgie ab. Die retrosigmoidale Platzierung ist eine Möglichkeit, passen Sie dabei aber auf die Dura auf.
- In unserer Studie konnten wir zeigen, dass die BONEBRIDGE Implantation eine effiziente und sichere Methode ist, Menschen mit CMA das Hören zu ermöglichen.
Vielen Dank für Ihre Ausführungen, Frau Professor Zhao!
- Yang, J., Chen, P., Zhao, C., Liu, Y., Gao, M., Huang, Z., Zhao, S. (2020) Audiological and subjective outcomes of 100 implanted transcutaneous bone conduction devices and preoperative bone conduction hearing aids in patients with bilateral microtia-atresia. Acta Otolaryngol. 2020 Aug;140(8):675-681.
- Amin, N., Soubly, A.J., Borsetto, D., Pai, I. (2020). Longitudinal economic analysis of Bonebridge 601 versus percutaneous bone anchored hearing devices over a 5-year follow-up period, Clin Otolaryngol. doi: 10.1111/coa.13659. Online ahead of print.
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