Auditorische Neuropathie-Spektrum-Störung (ANSD) und Cochlea-Implantate bei Kindern
Was genau ist ANSD?
Auditorische Neuropathie (ANSD) beschreibt ein Spektrum an Hörstörungen, welche durch eine Beeinträchtigung der Weiterleitung von Klangsignalen von den Haarzellen im Innenohr zum Gehirn charakterisiert sind. Manche Kinder mit ANSD können Klänge normal oder nahezu normal erkennen, während andere von leichtem bis schwerwiegendem Hörverlust betroffen sind.
Doch selbst wenn Kinder mit ANSD Klang erkennen können, so haben sie häufig Schwierigkeiten, Sprache klar und deutlich zu verstehen, speziell bei Umgebungslärm. Durch ANSD entgehen ihnen manche der zeitlichen Hinweise, deren Verarbeitung notwendig ist, um rasch wechselnde Audiosignale wie etwa Sprache zu verstehen. Funktioniert diese schnelle Verarbeitung nicht richtig, hören die Kinder die Sprache zwar, sie kann allerdings verzerrt und verwaschen klingen. Dieses Problem wird als Dyssynchronie bezeichnet und ist ein geläufiger Subtyp des auditorischen Neuropathie-Spektrums. Trotz Hörfähigkeit tun sich Menschen mit ANSD deshalb mitunter sogar schwerer mit dem Verstehen gesprochener Sprache als Menschen mit einer angeborenen Schallempfindungsschwerhörigkeit.
Wie ist der Stand der Forschung?
Die herkömmlichen Werkzeuge und Methoden zur Feststellung des Schweregrads der ANSD reichen zur Diagnosestellung aus, sie sind aber nicht geeignet, um das auditorische Potenzial bei betroffenen Kindern zuverlässig bestimmen zu können. Konkret können mittels ABR und audiometrischen Hörschwellen keine verlässlichen Aussagen über die auditorischen Schwellen getroffen werden.[1] Aktuelle internationale Richtlinien empfehlen, anstelle dieser Messungen den (unzureichenden) Fortschritt beim Sprechen sowie Wahrnehmen gesprochener Sprache heranzuziehen, wenn es um Therapieentscheidungen, insbesondere jene für oder gegen ein Cochlea-Implantat, geht.
Menschen mit ANSD, die nicht von akustischer Verstärkung profitieren, zeigen nach einer Implantation (Cochlea-Implantat) insgesamt eine Verbesserung im Bereich der Reintonschwellen.[2] Die Sprachwahrnehmung fiel im Großen und Ganzen ebenfalls besser aus, allerdings gab es hier eine größere Varianz in den Resultaten. Die Ergebnisse fallen üblicherweise etwas schlechter aus, wenn eine auditorisch-neurale Beeinträchtigung vorliegt (z. B. eine Schädigung des Cochlea-Nervs).[3,4,5] Die Frage, welche Rolle der exakte Ort der Störung (Haarzellen, Synapse, Nerv, …) spielt, wird Teil zukünftiger Forschung sein. Unter diesem Aspekt ist es umso wichtiger, in der Entscheidungsphase für ein Cochlea-Implantat behutsam und reflektiert mit den Erwartungen der Patienten umzugehen.[1]
Ob eine Person mit ANSD für eine CI-Implantation infrage kommt, wird auf individueller Basis vom Implantationsteam erhoben.
CI-Rehabilitation bei ANSD
Die therapeutische Unterstützung und Beratung ist eine Teamanstrengung und beginnt nach der Diagnose und noch vor der Implantation. Eine umfassende, gut abgestimmte Rehabilitation schließt folgende Bereiche mit ein:
- Präoperative Beratung: Ist eine Testphase mit einem Hörgerät geplant, empfiehlt es sich, klare Fortschrittsziele für diesen Zeitraum zu definieren. So kann später leichter entschieden werden, ob und wann weitere Maßnahmen erfolgen sollen.
- Gemeinsame Beurteilung: Gerade bei Kindern, die für die gängigen Spracherkennungstests noch zu jung sind, bedarf es der engen Zusammenarbeit mehrerer HörspezialistInnen, um die Fähigkeit, Sprache zu verstehen, zuverlässig zu erheben. Eine Art Logbuch zur Dokumentation der unterschiedlichen Geräusche und/oder Wörter, die das Kind erkennt, kann hilfreich sein, um die Sprachverständlichkeitsschwellen (SRT) zu bestimmen. Zusätzlich lässt sich – auf Basis von Beobachtungen durch Eltern oder Therapeuten – ganz informell festhalten, welche Wörter das Kind offensichtlich in ihrer Bedeutung kennt.
- Laufende Beobachtung und regelmäßige Beurteilung der funktionalen Hör- und Sprechfähigkeiten ist bei allen Kindern mit Hörverlust ratsam – ganz besonders aber bei jenen, deren Hörfähigkeit Schwankungen unterworfen ist. Checklisten unterstützen eine konsistente monatliche Beurteilung des Entwicklungsfortschritts.[6]
- Umgebungsgeräusche wirken sich auf das Sprachverständnis von Menschen mit ANSD stärker aus als auf jenes von Menschen mit Schallempfindungsschwerhörigkeit. Empfehlungen zum Umgang mit Störgeräuschen sind demnach für von ANSD Betroffene besonders wichtig. Die Reduktion von Lärm umfasst im Wesentlichen zwei Bereiche: externe Hörhilfen (z.B. FM-Empfänger, tragbare Mikrofone, Teleschlingen, …) und Adaptierungen der Umgebung (z. B. Beseitigung von Störquellen durch das Schließen von Fenstern und Türen oder das Abdrehen von Hintergrundmusik). Darüber hinaus können bestimmte Kommunikationsstrategien hilfreich sein, um die Beeinträchtigung des Sprachverstehens durch Lärm zu minimieren.
Aktivitäten für kleine Kinder
Um festzustellen, ob ANSD einen negativen Effekt auf die Hörentwicklung hat, müssen Reha-Fachleute individuell erheben, wie gut ein Kind „normale“ gesprochene Sprache zu verstehen vermag. Die folgenden Aktivitäten können dabei helfen:
- Täglichen Hörcheck durchführen: Das funktionale Hörvermögen kann Hörfachleuten und Eltern nützliche Informationen darüber liefern, wie das Kind den Klang der Sprache aufnimmt. Dieser tägliche Check ist für Kinder mit und ohne Hörsystem empfohlen. Durch die engmaschige, tägliche Kontrolle lassen sich etwaige Fluktuationen in der Sprachwahrnehmung offenlegen, die auf ANSD hindeuten können.
- Hörgedächtnis fördern: Wenn neue Wörter nicht abgespeichert werden können, wird sich kein differenziertes, elaboriertes Sprechen ausbilden. Das Hörgedächtnis dient dazu, beim Zuhören wichtige Informationen eines Satzes wiederzuerkennen (z. B. in verbundener Sprache). Dies lässt sich durch eine wechselnde Zahl an Schlüsselelementen (z. B. Hol deine Jacke und den Ball) oder kritischen Elementen (z. B. Stell deine Schuhe unter den Tisch) trainieren, die das Kind verstehen und sich merken muss, um die Botschaft zu verstehen oder der Aufforderung nachzukommen.
- Natürliche, verbundene Sprache hervorheben: Ein Programm zur Förderung des Gehörs unterstützt die Sprechentwicklung, indem es bei ganz einfacher, akustisch hervorgehobener Sprache beginnt (z. B. Oh-oh! Es ist runtergefallen!) und mit der Zeit in komplexere Äußerungen übergeht (z. B. Jetzt ist dein Becher unter den Tisch gefallen). Bei Kindern mit ANSD kann eine dauerhafte Fokussierung auf überbetonte, vereinfachte Sprache über anhaltende Schwierigkeiten mit natürlicher Konversation hinwegtäuschen, die oft deutlich schneller abläuft. Reha-Fachleute können den Schwerpunkt auf dem Verständnis verbundener Sprache längerfristig beibehalten, indem sie sich etwa folgender Techniken bedienen:
- Reime und Gedichte: Kinderlieder und -reime können die Entwicklung gesprochener Sprache unterstützen und sind somit ein wichtiger Bestandteil der Rehabilitation für Kinder mit ANSD. Kinderlieder eignen sich besonders, da sie sich durch einfache Melodien, ein langsames Tempo und ganz bestimmte Betonungen einzelner Wörter auszeichnen. Zusätzlich zu Gesang und Musik lassen sich Kinderverse, Finger- und Klatschspiele in Hörübungen einbauen. Diese Aktivitäten unterstreichen die Rhythmizität gesprochener Sprache und Unterhaltungen (mindern zugleich aber suprasegmentale Hinweise wie die natürliche Sprachmelodie).
- Spielerische Geräusche als Ausgangspunkt: Kleine Kinder lassen sich über einfache Ausrufe erreichen (z. B. Wow! Hui! Oh-oh! Hey, hör dir das an!) oder über spielerische Geräusche (z.B. Ui! Schau! oder Tschu, tschu!) , die augenblicklich ihre Aufmerksamkeit erregen. Solche akustischen Hinweise sind Kernbestandteile der Hörrehabilitation für alle Kinder. Kinder mit ANSD sind aber in noch größerem Ausmaß auf eine deutliche Betonung und Intonation angewiesen. Ziel dieser Art des Sprechens bzw. dieser Übungen sollte aber letztlich immer die Annäherung an eine natürliche Sprechweise und die Verwendung gebräuchlicher Wörter sein. In der therapeutischen Arbeit sollte die Identifikation spielerischer Geräusche in die Identifikation gebräuchlicher Wörter münden (z. B.: „Ich höre etwas, das ‚Brumm‘ macht“ wird zu „Ich höre ein Auto“).
Vielen Dank an Aneesha Pretto, Advanced Rehabilitation Manager bei MED-EL, für die Arbeit an diesem spannenden Artikel!
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Referenzen
[1] Hayes, D., Sininger, Y. S., & Northern, J. (Juni 2008). Guidelines for identification and management of infants and young children with auditory neuropathy spectrum disorder. In Proceedings of the Guidelines Development Conference at NHS.
[2] Roush, P., Frymark, T., Venediktov, R., & Wang, B. (2011). Audiologic Management of Auditory Neuropathy Spectrum Disorder in Children: A Systematic Review of the Literature. American Journal Of Audiology, 20(2), 159-170. https://doi.org/10.1044/1059-0889(2011/10-0032)
[3] Buchman, C., Roush, P., Teagle, H., Brown, C., Zdanski, C., & Grose, J. (2006). Auditory Neuropathy Characteristics in Children with Cochlear Nerve Deficiency. Ear & Hearing, 27(4), 399-408. https://doi.org/10.1097/01.aud.0000224100.30525.ab
[4] Teagle, H., Roush, P., Woodard, J., Hatch, D., Zdanski, C., Buss, E., & Buchman, C. (2010). Cochlear Implantation in Children with Auditory Neuropathy Spectrum Disorder. Ear & Hearing, 31(3), 325-335. https://doi.org/10.1097/aud.0b013e3181ce693b
[5] Walton, J., Gibson, W., Sanli, H., & Prelog, K. (2008). Predicting Cochlear Implant Outcomes in Children With Auditory Neuropathy. Otology & Neurotology, 29(3), 302-309. https://doi.org/10.1097/mao.0b013e318164d0f6
[6] Therres, M., & Steyns, I. (2017). A Child’s Journey Developmental Milestones (Birth – 6 Years). Innsbruck, Austria: Innsbruck, Austria: Kontaktieren Sie Ihren lokalen MED-EL Ansprechpartner, um ein Exemplar zu erhalten.
[7] Rance, G. (2014). An update on auditory neuropathy spectrum disorder in children. Proceedings Article: Sound Foundation Through Early Int. San Diego, CA: Plural Publishing, 137-44. https://www1.phonakpro.com/content/dam/phonakpro/gc_hq/en/events/2013/sound_foundation_chicago/chapter_17-sound_foundation_2013.pdf
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